Rezension: Kevin Lewis - Leben am Abgrund
Klappentext:
Seit frühester Kindheit kannte ich meinen Vater trinkend und rauchend, und während meine Mutter Gloria nie irgendetwas trank außer Tee, hatte sie immer eine glimmende Zigarette im Mund. Sie sprach nie normal, sondern schrie nur. In unserem Haus herrschte immer ein einziges Chaos. Jeder wusste auf Anhieb, dass wir eine Familie waren, die nicht zurechtkam. Das ganze Haus stank nach Urin. An keiner der Wände gab es Tapeten, und wo doch, hing sie in Fetzen herab. Unsere Schlafzimmer waren kahle schäbige Zellen, in denen wir uns vor Glorias Wut zu verstecken versuchten. Gelegentlich nahmen mein älterer Bruder Wayne und ich all unseren Mut zusammen und stahlen etwas aus dem Kühlschrank. Was uns dazu trieb, war der schmerzende, ständig in uns nagende Hunger.
meine Meinung:
Während ich meiner fast 6-Jährigen bei unbeschwerten Trampolinsprüngen zusehe, lese ich Kevin Lewis Geschichte und bin zutiefst erschüttert …
Wenn es um Kindesmisshandlung geht, gibt es keine Entschuldigung. Gewalt jeglicher Art verachte ich, doch ganz besonders Gewalt gegen Kinder, die sich oft (noch) nicht wehren können.
Kevin Lewis musste in seinem Leben viel wegstecken.
Seine Kindheit war bis zu seinem 13. Lebensjahr meistens eine Qual. Und auch im Erwachsenenalter wurde er oft genug hintergangen.
Er schildert in seinem Bericht offen und schonungslos von allem, an das er sich erinnert.
Er möchte nicht anklagen, aber er möchte auf die Missstände, die in diesem System herrschen, hinweisen.
Und er möchte die Menschen sensibilisieren.
Ich musste es selbst miterleben, wie Lehrer*innen Schüler*innen von außen beurteilten, ohne zu hinterfragen, ohne hinter die Fassade zu schauen. (Jahre später kam raus, dass es Missbrauchsfälle in der Familie gab)
Ich weiß, dass es Kinder gibt, die Hilfe möchten, die alle möglichen Wege versuchen, und trotzdem nicht gehört und / oder gesehen werden.
Meine Erfahrung zeigt mir, dass es Eltern tatsächlich gelingt, nach außen hin einen Schein zu wahren, den es in den eigenen vier Wänden nicht gibt.
Doch wenn ein Kind immer und immer wieder zu verschiedenen Personen geht, durch verschiedene (Nicht)Handlungen auf sich aufmerksam zu machen versucht, (in meinen Augen) eindeutige Signale sendet: WARUM wird niemand hellhörig? WARUM fragt niemand genauer nach? WARUM kann ein Kind über Jahre misshandelt werden, ohne dass jemand eingreift?
Ich werde es nie verstehen!
Kevin Lewis‘ Bericht zeigt einmal mehr auf, wie grausam die Welt sein kann. Und auch wenn seine Kindheit mittlerweile mehr als 40 Jahre her ist, bin ich überzeugt davon, dass solche Sachen auch heute noch geschehen und manche Leute einfach wegschauen.
©2024 Mademoiselle Cake
Zitate:
»Kinder benehmen sich in der Tat oft sehr schlecht, aber es gibt dafür immer einen Grund. Um ihn zu erfahren, muss man sich einfach nur die Mühe machen, die richtigen Fragen zu stellen.« (S. 10)
» Einige der Regeln waren absolut irrational, aber als Kind akzeptiert man die Dinge, wie sie sind. Erst im Rückblick erkennt man die grausige Absurdität.« (S. 19)
» Der Gestank von Schmutz und Urin durchdrang uns - Haut, Haare und Kleidung - und begleitete uns am nächsten Tag in die Schule.« (S. 23)
»Es hat mich immer wieder gewundert, wie Leute, die in Positionen waren, in denen sie uns hätten helfen können, nur allzu bereitwillig geglaubt haben, was die Erwachsenen ihnen erzählten. Aufgrund unseres Zustands muss für jedermann offensichtlich gewesen sein, dass die Dinge bei uns außer Kontrolle geraten waren, aber alle Leute, mit denen wir in Kontakt kamen, waren immer bereit, jede Erklärung zu akzeptieren, die Gloria oder Dennis ihnen auftischte.« (S. 31)
»Gloria muss irgendwie imstande gewesen sein, zumindest so viel Selbstdisziplin aufzubringen, dass sie mich so gut wie nie an Stellen schlug, an denen man es sofort sah. Mein Körper war zwar mit Blutergüssen übersät, doch wenn ich angezogen war, sah man sie nicht, so dass sie niemand entdeckte, außer beim Sportunterricht in der Schule, und da wurden sie einfach klein geredet.« (S. 105)
»Der einzige Ort, der mir als Zuflucht in den Sinn kam, war die Polizeiwache auf der anderen Seite des Parks. Ich muss eine bemitleidenswerte Figur abgegeben haben, als ich barfuß und außer Atem in die Wache marschierte und erzählte, was mir widerfahren war. Drei Beamte hatten Dienst, eine Frau und zwei Männer, und sie kamen mir alle wie Riesen vor, als sie auf mich herabblickten und mich darüber aufklärten, dass sie mir nicht helfen könnten, weil sich alles bei uns zu Hause in unseren vier Wänden zugetragen habe.« (S. 170)
buchige Daten:
Titel: Leben am Abgrund
Untertitel: Eine wahre Geschichte
Text: Kevin Lewis
Übersetzung: Bärbel Arnhold
Verlag: RM Buch und Medien Vertrieb GmbH
Ersterscheinung: 2005
Genre: Autobiografie
Medium: Taschenbuch
Rezension vom: 19.02.24
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