📚 Jana stellt vor: Utopia
Letzte Woche hat euch Jana einen "Roman über die Jugendfreundschaft zweier gläubiger jüdischer Jungen in New York zur Zeit des 2. Weltkriegs" vorgestellt. In Woche 80 unseres Projekts "vergessene Schätze" stellt sie euch erneut einen ihrer Schätze vor:
Utopia ist ein philosophischer Dialog, der 1516 von Thomas Morus in lateinischer Sprache verfasst wurde. Die Schilderung einer fernen "idealen" Gesellschaft gab den Anstoß zum Genre der Sozialutopie. Der Roman beschreibt eine auf rationalen Gleichheitsgrundsätzen, Arbeitsamkeit und dem Streben nach Bildung basierende Gesellschaft mit demokratischen Grundzügen. In der Republik ist aller Besitz gemeinschaftlich, Anwälte sind unbekannt, und unabwendbare Kriege werden bevorzugt mit ausländischen Söldnern geführt.
Dystopien liegen derzeit ja besonders im Jugendbuchbereich voll im Trend. Daher jetzt einmal ein Gegenentwurf und die Beschreibung einer (vermeintlich) perfekten Welt: Thomas Morus‘ Mutter aller Utopien aus dem 16. Jahrhundert.
Morus berichtet von einem fiktiven Gespräch, das er mit dem umfassend gebildeten Reisenden Raphael führt. Dieser hat mehrere Jahre auf einer Insel verbracht, die in seinen Augen den perfekten Staat darstelle: Utopia. Seinen Bericht, der weitestgehend ohne Zwischenfragen seiner Zuhörer auskommt, untergliedert er in die Bereiche Hauptstadt von Utopia, Staatsämter, Kunst und Handwerk, die Bürger im Verkehr miteinander, Reisen in Utopia, Sklaven, Krieg und religiöse Anschauungen.
Die Utopier leben auf einer selbst geschaffenen Insel in identisch angelegten Städten mit klar verteilten Aufgaben. Sie sind ein bescheidenes Volk, regiert von einem Primus inter Pares. Ihre Kleidung ist einfach und für jeden Bewohner gleich; Gold sehen sie als Tand an, mit dem sie ihre Sklaven (meist Kriegsgefangene und Verbrecher) behängen und Kriege finanzieren. Faulheit und Rumtreiberei werden aufs Schärfste verurteilt und geächtet, dadurch müssen alle Bewohner aber auch weniger arbeiten. Ihre so gewonnene Freizeit verbringen die Utopier damit, sich zu bilden und gesellig in großen Gemeinschaftshäusern beisammen zu sein. Gemeinsinn und Tüchtigkeit sind die Haupttugenden der Bewohner; Gesundheit gilt als Voraussetzung für Glück.
Beim Lesen gewinnt man den Eindruck, Morus habe einen deutlichen Gegenentwurf zum England seiner Zeit schaffen wollen. Dabei lässt er seinen Erzähler Raphael die Missstände klar benennen:
„Wenn ich also meinen Blick auf noch so blühende Staaten in unserer Zeit richte, so sehe ich, Gott verzeih mir, nichts als eine einzige Verschwörung der Reichen, die unter dem Aushängeschild des Begriffes ‚Staat‘ einzig und allein ihren Vorteil suchen“ (S. 131)
Bemerkenswert ist, dass der Jurist und Administrator Morus die geringe Gesetzesdichte seines utopischen Staates ebenso preist, wie er als überzeugter Katholik, der 1535 auf dem Schafott endete und in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird – überlieferter Weise aber ebenso gesetzesgemäß Protestanten verfolgte – Religionsfreiheit hochhält:
„[…] ein Gebot der ältesten utopischen Gesetzeseinrichtungen ist, daß niemand wegen seiner Religion einen Schaden erleiden dürfe.“ (S. 118)
Besonders bei Beschreibung der utopischen Freizeitgestaltung wird Morus‘ humanistisches Menschenbild deutlich: Mit Vernunft und Wissbegier ausgestattet, machen die Utopier sich, kaum dass sie Sichel und Pflug ruhen lassen, freiwillig auf zum Studium in die Bibliotheken. Daneben erscheint Morus in vielerlei Hinsicht ganz seiner Zeit verhaftet: Sein Frauenbild ist ausdrücklich konservativ: Auf Utopia herrscht ein strenges Patriarchat; Frauen sind arbeitsam, gebärfreudig, bescheiden, gehorsam und ungeschminkt. Außerdem sieht er bei aller Religionsfreiheit den Glauben an den einen Gott als Ideal, das sich auf Dauer durchsetzen wird, an und hält Sklaverei ganz selbstverständlich für zulässig.
Uns, die wir auf 500 Jahre mehr Gesellschaftsgeschichte zurückschauen können als Morus zu seiner Zeit, erscheint die allumfassende soziale Kontrolle und romantisch-idealisierte kommunistische Sklavenhaltergesellschaft Utopias gepaart mit einem rassistisch anmutenden Ãœberlegenheitsgefühl seiner Bewohner alles andere als erstrebenswert. Die Mutter aller Utopien erreicht heute genau ihr Gegenteil, sie wirkt abschreckend. Nichtsdestotrotz fasziniert Morus‘ Versuch, eine perfekte Gesellschaft zu kreieren immer noch. Der Ansatz wirkt ungleich anspruchsvoller als jener vieler Dystopien, die lediglich einen einzelnen Missstand unsere Zeit herausgreifen und diesen zuspitzen. Trotz seines Alters ist „Utopia“ kurzweilig, lehrreich und sehr lesenswert.
Meinungen von anderen Lesern:
Zusammenfassung:
Utopia ist ein philosophischer Dialog, der 1516 von Thomas Morus in lateinischer Sprache verfasst wurde. Die Schilderung einer fernen "idealen" Gesellschaft gab den Anstoß zum Genre der Sozialutopie. Der Roman beschreibt eine auf rationalen Gleichheitsgrundsätzen, Arbeitsamkeit und dem Streben nach Bildung basierende Gesellschaft mit demokratischen Grundzügen. In der Republik ist aller Besitz gemeinschaftlich, Anwälte sind unbekannt, und unabwendbare Kriege werden bevorzugt mit ausländischen Söldnern geführt.
Janas Meinung:
Dystopien liegen derzeit ja besonders im Jugendbuchbereich voll im Trend. Daher jetzt einmal ein Gegenentwurf und die Beschreibung einer (vermeintlich) perfekten Welt: Thomas Morus‘ Mutter aller Utopien aus dem 16. Jahrhundert.
Morus berichtet von einem fiktiven Gespräch, das er mit dem umfassend gebildeten Reisenden Raphael führt. Dieser hat mehrere Jahre auf einer Insel verbracht, die in seinen Augen den perfekten Staat darstelle: Utopia. Seinen Bericht, der weitestgehend ohne Zwischenfragen seiner Zuhörer auskommt, untergliedert er in die Bereiche Hauptstadt von Utopia, Staatsämter, Kunst und Handwerk, die Bürger im Verkehr miteinander, Reisen in Utopia, Sklaven, Krieg und religiöse Anschauungen.
Die Utopier leben auf einer selbst geschaffenen Insel in identisch angelegten Städten mit klar verteilten Aufgaben. Sie sind ein bescheidenes Volk, regiert von einem Primus inter Pares. Ihre Kleidung ist einfach und für jeden Bewohner gleich; Gold sehen sie als Tand an, mit dem sie ihre Sklaven (meist Kriegsgefangene und Verbrecher) behängen und Kriege finanzieren. Faulheit und Rumtreiberei werden aufs Schärfste verurteilt und geächtet, dadurch müssen alle Bewohner aber auch weniger arbeiten. Ihre so gewonnene Freizeit verbringen die Utopier damit, sich zu bilden und gesellig in großen Gemeinschaftshäusern beisammen zu sein. Gemeinsinn und Tüchtigkeit sind die Haupttugenden der Bewohner; Gesundheit gilt als Voraussetzung für Glück.
Beim Lesen gewinnt man den Eindruck, Morus habe einen deutlichen Gegenentwurf zum England seiner Zeit schaffen wollen. Dabei lässt er seinen Erzähler Raphael die Missstände klar benennen:
„Wenn ich also meinen Blick auf noch so blühende Staaten in unserer Zeit richte, so sehe ich, Gott verzeih mir, nichts als eine einzige Verschwörung der Reichen, die unter dem Aushängeschild des Begriffes ‚Staat‘ einzig und allein ihren Vorteil suchen“ (S. 131)
Bemerkenswert ist, dass der Jurist und Administrator Morus die geringe Gesetzesdichte seines utopischen Staates ebenso preist, wie er als überzeugter Katholik, der 1535 auf dem Schafott endete und in der katholischen Kirche als Heiliger verehrt wird – überlieferter Weise aber ebenso gesetzesgemäß Protestanten verfolgte – Religionsfreiheit hochhält:
„[…] ein Gebot der ältesten utopischen Gesetzeseinrichtungen ist, daß niemand wegen seiner Religion einen Schaden erleiden dürfe.“ (S. 118)
Besonders bei Beschreibung der utopischen Freizeitgestaltung wird Morus‘ humanistisches Menschenbild deutlich: Mit Vernunft und Wissbegier ausgestattet, machen die Utopier sich, kaum dass sie Sichel und Pflug ruhen lassen, freiwillig auf zum Studium in die Bibliotheken. Daneben erscheint Morus in vielerlei Hinsicht ganz seiner Zeit verhaftet: Sein Frauenbild ist ausdrücklich konservativ: Auf Utopia herrscht ein strenges Patriarchat; Frauen sind arbeitsam, gebärfreudig, bescheiden, gehorsam und ungeschminkt. Außerdem sieht er bei aller Religionsfreiheit den Glauben an den einen Gott als Ideal, das sich auf Dauer durchsetzen wird, an und hält Sklaverei ganz selbstverständlich für zulässig.
Uns, die wir auf 500 Jahre mehr Gesellschaftsgeschichte zurückschauen können als Morus zu seiner Zeit, erscheint die allumfassende soziale Kontrolle und romantisch-idealisierte kommunistische Sklavenhaltergesellschaft Utopias gepaart mit einem rassistisch anmutenden Ãœberlegenheitsgefühl seiner Bewohner alles andere als erstrebenswert. Die Mutter aller Utopien erreicht heute genau ihr Gegenteil, sie wirkt abschreckend. Nichtsdestotrotz fasziniert Morus‘ Versuch, eine perfekte Gesellschaft zu kreieren immer noch. Der Ansatz wirkt ungleich anspruchsvoller als jener vieler Dystopien, die lediglich einen einzelnen Missstand unsere Zeit herausgreifen und diesen zuspitzen. Trotz seines Alters ist „Utopia“ kurzweilig, lehrreich und sehr lesenswert.
©2017
Meinungen von anderen Lesern:
Na, was meint ihr?
- Habt ihr das Buch schon gelesen? (hinterlasst doch einen Link zu eurer Rezension und ich verlinke auch euch)
- Empfindet ihr genauso?
- Habt ihr eher eine andere Meinung davon?
- Wandert das Buch direkt auf eure Wunschliste?
- Liegt es gar schon auf dem SuB?
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